Erbrecht des ungeborenen Kindes

Ein ungeborenes Kind kann Erbe sein. Der bereits gezeugte, aber noch nicht geborene Mensch gilt von Gesetzes wegen als vor dem Erbfall geboren. Voraussetzung ist, dass das Kind lebend zur Welt kommt. Auch Kinder, die mit Hilfe der modernen Fortpflanzungsmedizin nach dem Tod des Erblassers entstehen, sollten erbberechtigt sein. Die scheinbar einfache Antwort auf die Frage nach dem Erbrecht des ungeborenen Kindes wirft eine Reihe von interessanten, teils kniffligen Fragen auf. Möchten Sie Ihr Testament formulieren, sollten Sie wissen, wie das Erbrecht mit solchen Lebenssachverhalten umgeht.

Kurze Zusammenfassung

  • Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist das Erbrecht des ungeborenen Kindes ausdrücklich benannt.
  • Das noch ungeborene Kind wird mit seiner Zeugung erbfähig, wenn auch erst mit der Geburt rechtsfähig. Voraussetzung ist, dass das Kind lebend geboren wird, auch wenn es danach verstirbt.
  • Es spricht vieles dafür, auch ein nach dem Tod des Erblassers künstlich gezeugtes Kind als Erben anzuerkennen.

Praktische Tipps für Sie

Tipp 1: Erstellen Sie ein Testament
Möchten Sie ein gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind an Ihrem Nachlass beteiligen, sollten Sie dies testamentarisch in Ihrem letzten Willen klarstellen.

Tipp 2: Klären Sie, wie das ungeborene Kind erben soll
Sie können das gezeugte, aber noch nicht geborene Kind als Alleinerben, als Miterben in einer Erbengemeinschaft oder als Nacherben bestimmen. Genauso können Sie auch ein Vermächtnis aussetzen.

Tipp 3: Ziehen Sie einen Testamentsvollstrecker heran
Haben Sie Zweifel, ob die Eltern des noch nicht geborenen Kindes die Rechte des Kindes zuverlässig wahrnehmen, können Sie testamentarisch einen Testamentsvollstrecker bestimmen oder speziell für die Wahrnehmung der Rechte des Kindes durch das Vormundschaftsgericht eine Pflegschaft anordnen lassen und dazu testamentarisch bereits einen Pfleger bestellen.

Warum ist das Erbrecht des ungeborenen Kindes problematisch?

Das Erbrecht ist mit der Rechtsfähigkeit des Menschen verbunden. Jede natürliche Person (also jeder Mensch) und jede juristische Person (Kapitalgesellschaften, eingetragene Vereine, etc.) sind rechtsfähig. Sie sind Rechtssubjekte und können damit am Rechtsverkehr teilnehmen.

Rechtsfähig ist, wer lebt

Die Rechtsfähigkeit eines potentiellen Erben muss zum Zeitpunkt des Erbfalls bestehen. Deshalb bestimmt § 1923 BGB, dass nur derjenige Erbe werden kann, der zur Zeit des Erbfalls als natürliche Person lebt oder als juristische Person existiert. Wer rechtsfähig ist, ist auch erbfähig.

Rechtsfähig ist auch ein Kind, das gezeugt, aber noch nicht geboren ist

Die Rechtsfähigkeit eines Menschen beginnt im Normalfall mit der Vollendung der Geburt.

Die Rechtsfähigkeit eines Menschen beginnt im Normalfall mit der Vollendung der Geburt.

Ein Kind, das zwar gezeugt, aber noch nicht geboren ist (lateinisch: nasciturus), besitzt noch keine Rechtsfähigkeit. Es ist noch nicht handlungsfähig. Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt daher erst mit der Vollendung der Geburt (§ 1 BGB) und die der juristischen Person mit der notariellen Beurkundung des Gesellschaftsvertrages und der Eintragung im Handelsregister. Ein bereits gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind wäre also noch nicht rechtsfähig und damit an sich nicht erbberechtigt. Das Gesetz geht im Hinblick auf das Erbrecht des gezeugten und noch ungeborenen Kindes aber einen anderen Weg.

Wie begründet sich das Erbrecht des ungeborenen Kindes?

Das Gesetz verlegt die Rechtsfähigkeit des noch ungeborenen Kindes in das Stadium vor seiner Geburt. So bestimmt § 1923 Abs. II BGB:

Wer zur Zeit des Erbfalls noch nicht lebt, aber bereits gezeugt ist, gilt als vor dem Erbfall geboren.

Ein Kind, dass zum Zeitpunkt des Erbfalls also noch nicht geboren, wohl aber schon gezeugt ist, kann daher Erbe sein, vorausgesetzt, dass es nach dem Erbfall lebend geboren wird und damit rechtsfähig ist. Dann gilt es als bereits vor dem Erbfall geboren. Das Gesetz arbeitet mit einer gesetzlichen Fiktion. Das noch nicht geborene Kind wird also bei der Frage, wer als Erbe berufen ist, so betrachtet, als hätte es zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits gelebt. Allerdings ändert diese Unterstellung nichts daran, dass das Kind erst mit der Geburt seine Rechtsfähigkeit und damit die Erbfähigkeit erlangt.

Auf das Entwicklungsstadium des Kindes wird hierbei nicht abgestellt. Egal, in welchem Entwicklungsstadium sich das werdende Leben befindet, so ist bereits der Embryo (ab der 3. Woche) aber auch der Fötus (ab der 11. Woche) erbfähig. Wohl gemerkt: Das werdende Leben ist erbfähig, wenn auch noch nicht rechtsfähig.

Praxisbeispiel:

Sie hinterlassen Ihre Frau und ein Kind von zwei Jahren. Sie werden nach Ihrem Ableben von beiden gesetzlich beerbt. Wird Ihr Kind aber erst zwei Monate nach Ihrem Ableben geboren, dann könnte es ohne die ausdrückliche Bestimmung in § 1923 Abs. II BGB nicht Ihr Erbe sein, da es zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht rechtsfähig ist. Wäre dem so, würden Ihre Frau und Ihre Eltern erben. Ihr später geborenes Kind hätte kein Erbrecht. Dieser Umstand erscheint ungerecht. Denn: Es ist nicht einzusehen, warum ein kurz vor Ihrem Tod geborenes Kind Sie beerben und ein kurz nach Ihrem Tod geborenes Kind nicht erben sollte. In beiden Fällen wäre das Kind Ihr leibliches Kind.

Das Kind muss lebend zur Welt kommen

Auch wenn das Gesetz klarstellt, dass ein noch nicht gezeugtes Kind Erbe sein kann, erlangt das Kind die Rechtsfähigkeit dennoch erst mit seiner Geburt. Dies bedeutet, dass das Kind außerhalb des Mutterleibes gelebt haben muss, wenn auch nur für eine Sekunde. Eine solche Situation kann eintreten, wenn der Kreislauf der bei der Geburt versterbenden Mutter eine Zeit lang noch künstlich aufrechterhalten wird oder die Mutter während der Schwangerschaft verstirbt und allein das Kind die Geburt überlebt.

Kommt es hingegen zu einer Fehlgeburt und einer Totgeburt oder verstirbt die Mutter samt der Leibesfrucht, kann das noch nicht geborene Kind nicht Erbe werden. Es erlangt keine Rechtsfähigkeit. Erbe wird dann diejenige Person, die zum Zeitpunkt des Erbfalls Ihr nächst berufener Erbe wäre. Zwischen dem Zeitpunkt des Erbfalls und der Geburt besteht also ein ungewisser Zustand, eine Art Schwebezustand. Erst wenn das Kind geboren wird, sei es tot oder lebendig, klären sich die Rechtsverhältnisse.

Praxisbeispiel:

Hinterlassen Sie Ihre Frau und wird Ihr Kind tot geboren, erben Ihre Witwe und Ihre vielleicht noch lebenden Elternteile Ihren Nachlass. Wird das Kind aber lebend geboren, erben Ihre Frau und Ihr Kind gemeinsam. Verstirbt dann das Kind nach der Geburt, wird es von seiner Mutter beerbt, so dass Ihr Vermögen als ursprünglicher Erblasser letztlich vollständig an Ihre Witwe fällt.

Ist ein Kind auch bei künstlicher Befruchtung erbfähig?

Die Fortpflanzungsmedizin macht es möglich, dass Kinder auch noch nach dem Tod des biologischen Vaters im Wege der homologen Insemination oder der homologen In-vitro-Fertilisation entstehen. Der Zeugungsvorgang erfolgt also nach dem Zeitpunkt des Erbfalls. Da das Kind zum Zeitpunkt des Erbfalls weder gezeugt noch geboren war, wäre es an sich nicht erbfähig. Als der Gesetzgeber das Erbrecht formulierte, konnte man sich diese Möglichkeiten noch nicht vorstellen. Daraus ergibt sich die Frage, ob auch ein postmortal nach dem Tode des Erblassers künstlich gezeugtes Kind Erbe sein kann.

Die Frage wird vielfach dahingehend beantwortet, dass auch das postmortal gezeugte Kind des Erblassers bei der Erbfolge anderen, vor dem Erbfall geborenen Kindern gleichgestellt wird. Dabei spielt der Gleichheitsgrundsatz eine wichtige Rolle. Auch wird auf den hypothetischen Willen des Gesetzgebers abgestellt. Der Gesetzgeber stellt im Erbrecht mehrfach auf das noch ungeborene Leben ab.

Ein postmortal nach dem Tod des Erblassers künstlich erzeugtes Kind wird einem vor dem Erbfall geborenem Kind gleichgestellt.

Schaubild:
Ein postmortal nach dem Tod des Erblassers künstlich erzeugtes Kind wird einem vor dem Erbfall geborenem Kind gleichgestellt.

So sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, dass eine zur Zeit des Erbfalls noch nicht gezeugte Person als Nacherbe eingesetzt werden kann (§ 2101 BGB). Der Nacherbe wird erst dann Erbe, nachdem zunächst ein anderer Erbe (Vorerbe) geworden ist. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber auch in dem für ihn nicht vorhersehbaren Fall der postmortalen künstlichen Zeugung eine Regelung gewählt hätte, um das auf diese Art und Weise entstehende Kind am Nachlass seines Vaters teilhaben zu lassen.

Diese Auffassung ist aber auch nur bedingt überzeugend. Wer ein postmortal gezeugtes Kind als Erbe anerkennt, riskiert ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit, weil bis zur Geburt des Kindes möglicherweise lange Zeit Ungewissheit über die erbrechtliche Lage besteht.

Expertentipp:

Die postmortale Zeugung lässt das Erbrecht des noch nicht gezeugten Kindes zweifelhaft erscheinen. Möchten Sie trotzdem gewährleisten, dass ein möglicherweise postmortal nach Ihrem Tod künstlich gezeugtes Kind an Ihrem Nachlass teilhat, sollten Sie ein Vermächtnis vorziehen. Das Kind braucht sich dann nicht in eine erbrechtliche Diskussion hineinziehen zu lassen. Außerdem können Sie ein solches Kind in Ihrem Testament als Nacherben bestimmen, das dann Ihre Rechtsnachfolge antritt, wenn ein zugleich bestimmter Vorerbe verstirbt.

Der noch nicht geborene Erbe verhindert die Auseinandersetzung des Nachlasses

Setzen Sie ein bereits gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind zu Ihrem Erben ein (z.B. Ihr Enkelkind), bleiben die Erbteile der Miterben wegen der zu erwartenden Geburt des Kindes unbestimmt. In dieser Zeit ist die Auseinandersetzung des Nachlasses ausgeschlossen, und zwar so lange, bis das Kind lebend oder tot geboren wird (§ 2043 BGB). Erst dann steht fest, ob das Kind Erbe wird. Erst dann kann die Erbengemeinschaft unter Einbeziehung des Kindes als Miterben den Nachlass auseinandersetzen.

Wer nimmt die Rechte des ungeborenen Kindes war?

Wahrnehmung der Rechte durch die sorgeberechtigten Eltern

Die Rechte des noch ungeborenen Lebens stehen grundsätzlich den Eltern zu, soweit sie sorgeberechtigt sind (§ 1912 Abs. II BGB). Allerdings können die Eltern die Erbschaft für die Leibesfrucht nicht schon vor der Geburt annehmen (§ 1943 Abs. II BGB). Grund ist, dass noch nicht feststeht, ob das ungeborene Kind mit der Geburt wirklich die Rechtsfähigkeit erlangt. Wird das Kind nämlich tot geboren, erlangt es keine Rechtsfähigkeit und kann nicht Erbe werden. Allerdings können die Eltern vor der Geburt bereits die Erbschaft ausschlagen.

In der kleinen Welt, in welcher Kinder leben, gibt es nichts, dass so deutlich von ihnen erkannt und gefühlt wird, als Ungerechtigkeit.

Charles Dickens

Wahrnehmung der Rechte durch einen Pfleger

Soweit die Eltern ihr Sorgerecht nicht ausüben können oder wollen und oder das ungeborene Kind zur Wahrung seiner künftigen Rechte der Fürsorge bedarf, kann das Familiengericht einen Pfleger bestellen (§ 1912 BGB). Der Pfleger nimmt dann die Rechte des ungeborenen Kindes wahr, die dem Kind bei der Geburt oder nach der Geburt zustehen. Dafür genügt die Möglichkeit, dass ein solches Recht, insbesondere ein Erbrecht, entsteht.

Das Bedürfnis, einen Pfleger zu bestellen, besteht dann nicht, wenn Sie in Ihrem Testament einen Testamentsvollstrecker bestimmt haben oder das Gericht die Nachlasspflegschaft angeordnet hat. Wird eine Pflegschaft angeordnet, endet diese mit der Geburt des Kindes (§ 1918 Abs. II BGB).

Ausblick

Erbrecht ist oft wie Schachspielen. Es kommt darauf an, das, was Sie tun, strategisch zu bedenken. Möchten Sie ein noch ungeborenes Kind in Ihre Erbfolge einbeziehen, sollten Sie Ihren letzten Willen unbedingt in einem Testament klarstellen. Wie Sie dabei vorgehen, sei es, dass sie das Kind als Alleinerbe, als Miterbe oder als Nacherben bestimmen oder zu Gunsten des Kindes ein Vermächtnis aussetzen, richtet sich nach Ihren individuellen familiären Gegebenheiten. Sie sollten Ihren letzten Willen möglichst nicht ohne anwaltliche Begleitung formulieren.

Autor:  Volker Beeden

Ratgeber